Ulrich
Wünsch
Persönlicher/fachlicher Hintergrund:
das Thema Inszenierung beschäftigt mich seit langem als Dramaturg
und Regisseur. Ich habe für das Theater gearbeitet, wie für
das Fernsehen. Seit längerem biete ich Beratung und Konzepte für
Events (von klein bis ganz groß), aber auch die Leitung der Durchführung.
"Man
kann nicht nicht kommunizieren", dieses eherne Gesetz moderner
Zeit hat Herr Paul Watzlawick aus Kalifornien schon früh formuliert.
Ich möchte das erweitern und behaupten: "Man kann nicht nicht
inszenieren".
Das meint: ebenso wie Kommunikation als Prozeß beständig
läuft und Wirklichkeit schafft, ist die Wahrnehmung (sämtliche
Sinne und mehr) ständig angeschaltet und nimmt das, was ihr angeboten
wird als Inszenierung wahr. Das heißt, die Wahrnehmung bemüht
sich um Sinnstiftung und meint, alles was ihr vor die Wahrnehmungsorgane
(auch der Bauch gehört dazu) kommt, sei weltstiftend zu interpretieren.
Das bedeutet für mich: alles wirkt, jede Sekunde zählt und
hohe Aufmerksamkeit ist bei der Einrichtung (Vorbereitung, Durchführung,
Nachbereitung) von Großgruppen nötig, um den Prozeß
zu lenken. Auch wenn das ein Widerspruch sein mag - denn der Prozeß
lenkt sich selbst - so meine ich, dieser ist nur scheinbar, denn man
sollte Sorgfalt auf die Gestaltung verwenden, der Prozeß (das
Ganz Große Ganze) wird´s einem danken und ES schon richten.
Bei der Inszenierung kann man darauf zurückgreifen, dass den Menschen
ein Empfinden / eine Erinnerung für und an Rituale und Symbole
eigen ist. Zudem spielen die meisten gern, alles Vorbedingungen für
das Gelingen einer Inszenierung. Zwischenfrage: was heißt Inszenierung?
Etwas in Szene setzen, wobei die Szene die Bühne früher des
Theaters, jetzt des Lebens bedeutet. Szene wiederum ist nichts anderes
als der Rahmen für das zu erwartende Geschehen.
Bleiben wir also bei der Bühnenmetapher, denn sie liefert die Ingredienzien:
Licht, Raum, Material, Rhythmus, Farbe, Hintergrund, Seiten, Auftritte,
Akteure, Kostüme, Requisiten, Musik & Geräusch, Projektionsleinwände
(real), dann der Plot oder das Stück oder der Text und der Subtext.
All dies wäre zu bedenken und zu inszenieren oder zu steuern oder
mit Freiraum zu versehen (denn auch das ist inszenieren.
Je mehr Sinneskanäle angesprochen, desto eingängiger die Botschaft,
desto tiefer der Lerneffekt. Wird dabei noch Emotion geweckt oder angesprochen,
darf man noch ein wenig mehr erhoffen, nämlich Bewegung / E-Motion.
Das Ziel von Inszenierung ist die Emotion, vielleicht die Seele, das
Unbewußte, ein Gedankenraum innerhalb wie jenseits der Ratio eher
denn der rein numerisch-faktisch-ordnende Bereich.
Modell für emotionale Inszenierungen gibt es zuhauf: angefangen
von religiösem Ritual (das katholische Hochamt etwa ist, was Inszenierungsideen
und -qualität angeht, durchaus beachtlich) über inzwischen
Lebensgeschichtsfixpunkte wie Hochzeit oder Begräbnis bis hin zu
den vielen kleinen Ritualen eines jeden (etwa: morgens beim Frühstück
das Messer immer im rechten Winkel auf den Brötchenteller legen,
um zu verhindern, dass die Erde untergeht oder der Himmel einem auf
den Kopf fällt - siehe Opferung von Herzen, damit die Sonne jeden
Tag aufgeht).
Auch Symbole sind wichtig und einem jeden bekannt; ebenso wie Zeremonien
oder Zeremonielles, auch wenn die Peinlichkeitsschwelle sich im Laufe
der Zeit verlagert (Prozeß der Zivilisation, was heißt,
das man den Bedeutungswandel und die Auffüllung mit neuen Konnotationen
bedenken muß und sich genau bei Film Funk und Fernsehen orientieren
muß, um die richtige Zeremonie für die richtigen Leute zu
finden).
Für mich bedeutet das: sinnvolle und angemessene Inszenierungen
von Großgruppen finden ihre Art aus dem Innern des jeweiligen
Themas der Großgruppenfrage des Auftraggebers heraus. Sie sind
nicht und wirken nicht aufgesetzt. Dies meint auch eine Ökonomie
der Mittel: viel ist nicht unbedingt richtig oder wirksam. Es kommt
eher darauf an, das richtige Mittel zu finden, den richtigen Dreh, das
richtige Symbol etc. Es wirkt zum Beispiel ein großer schöner
Stein in der Mitte eines Kreises als (angesprochenes oder auch nicht
angesprochenes) Zentrum oder Kraftquelle eines Tages oder einer Gruppe
stärker als eine Vielzahl von Dingen und Krimskrams.
Modelle und vor allem Ideen für Inszenierungen - respektive heutigen
Umsetzungsmitteln - kann man durchaus im TV finden. Jede Show hat einen
Anfang, ein Ende, eine dramatische Kurve, sie nutzt Stars, sie bietet
eine Moderation, sie gibt Impulse, und sie zeigt diverse Spiele. Und
jeder, der erfolgreich einen
Kindergeburtstag ausgerichtet hat (die weitaus kritischste Klientel),
kennt die Grundzüge einer stimmigen und wirkungsvollen Inszenierung.
Dabei kann man darauf vertrauen, dass auch die Erwachsenen sich gern
noch Spielen hingeben, sind diese im richtigen Kontext dargeboten und
entsprechend eingeführt.
Weitere Ideen kann man etwa Bereichen wie der Beschäftigungstherapie
entnehmen, die mit dem Klientel seelisch behinderter Menschen umzugehen
weiß. Oder auch der neuen Sportpädagogik oder dem New Games
Movement, das nicht konkurrenzorientierte Spiele bietet.
Allen gemeinsam ist: es lohnt sich immer, Papier dabei zu haben, Stifte,
Schnur, Postkarten, Caps, Tesa, etc. Aber auch ein Kassettenrecorder
mit Mikrofon erweist sich als nützlich bei Formen wie Interview,
Reportage, Hörspiel. Und die Digitalkamera (Foto oder Film) mit
direkter Überspielung auf den PC und Ausdruck macht Sinn, wenn
sie eingebunden ist in das Thema und die Aufgabe - sei es als Medium
der Dokumentation, der Reportage, des Aufdeckens, des Zeigens, der Unterhaltung,
der Beweisführung, ...
Um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, können Methoden des systemischen
Familientherapeuten Bert Hellinger nützlich sein, oder zumindest
die Kenntnis davon. Denn ob dieses sehr tiefgreifende und mächtige
Instrument ohne weiteres in Großgruppensettings eingesetzt werden
sollte, möchte ich bezweifeln. Doch das Wissen um Ordnungen in
Familien und Gruppen, um Rangfolge und Reihenfolge, um Ausgleich und
Liebe, schärft den Blick. Und mit diesem Wissen lassen sich Ereignisse
oder Events runder inszenieren: der Blick liegt auf dem Weg und einem
guten Ende ohne das Chaos jeden Beginnens zu vergessen.
Das man wie jeder gute Schauspieler auf die Rolle, die man spielt, achtet,
ist ja selbstverständlich. Für die Inszenierung wichtig scheint
mit um die Wirkung der Person und da bühnenhafte jeden öffentlichen
Geschehens zu wissen. Anspannung und Entspannung der Stimme, die richtige
Pause, das Timing beim Sprechen wie auch der angemessenen Atem, der
auf den Sprechenden fokussiert, können beachtet werden und sind
jedem Redner von Nutzen. Das Wissen um die Rolle und die Beachtung derselben
(es reicht durchaus die neue Baseballcap auf dem Kopf für die neue
Rolle) in Bezug auf deren Bewegungsraum, deren Potenzial aber auch deren
Grenzen scheint mir ebenfalls wichtig.
Kenntnisse der Dramaturgie (des Spannungsverlaufs innerhalb eines Ereignisses
und dessen Umsetzung) helfen bei der Steuerung des Events. Das mag so
banal sein wie das alte Bühnengesetz, dass die guten Nachrichten/Boten
stets von links auftreten (aus der Ecke, die man zuerst wahrnimmt und
die richtig, ungefährlich etc scheint), während das "Böse"
eher von rechts kommt (Blickrichtung des Zuschauers auf die Bühne).
Dramaturgie meint aber auch die Lenkung auf einen Höhepunkt hin,
den langsamen Aufbau der Spannung, das open end oder die abschließende
Rundung, die Angemessenheit der Mittel wie die richtige Bezüglichkeit
der Rollen und Personen untereinander.
Ein weiteres Modell ist das Erzählen von Geschichten. Zum einen
geht es auch hier um Struktur und Dramaturgie, die richtige Zeit, den
richtigen Ort und die richtigen Personen, aber es geht auch um die sprachlichen
Bilder, die man wählt, um die Metaphern und Symbole, um die Sprachebene
wie um den Kontext, in dem die Geschichte erzählt wird - unter
dem Affenbrotbaum, am Bett, vor der Gruppe, an einen Einzelnen gewandt,
einen Subtext verbreitend etc. Begriffe wir der berühmte "rote
Faden" helfen hier weiter - wo geht es lang, was bezieht sich aufeinander,
was will ich wirklich sagen, wo ist der Fokus?
Dabei sind alle genannten Tools, Methoden, Gimmicks je nach Situation
gleich wirkungsmächtig. Viele davon kennt man auch schon, ja sogar
fast alle hat man schon mal irgendwo gesehen, vielleicht aber nicht
beachtet. Sie werden in vielen verschiedenen Kontexten genutzt (Theater,
Psychologie, Therapie, TV, geselliger Abend, Familie, Unternehmen, Abteilung,
...) und erscheinen in vielfältiger Ausprägung. Man kann,
so denke ich, darauf vertrauen, dass einen das gemäße einfällt,
wenn man lange genug auf ein Thema sieht und dann noch mal genau hinsieht
und die bekannten Schemata vergißt und sich dem Phänomen
als solchem anheimgibt.
Soweit ein paar Gedanken und Stichworte. Dabei scheint mir es sinnvoll,
jedes Ereignis aus seiner Binnenspannung zu inszenieren, d.h. aus seinem
Innern (seinem Thema, seinen Akteure) heraus den richtigen "Ton"
zu finden und zu treffen. Dies kann im Vorfeld geplant werden, doch
sollte der gefüllte Koffer mit Ideen und Dingen zur Hand sein,
um durch Impulse Spannung zu geben oder auch zu nehmen. Insgesamt aber,
und das scheint ja tatsächlich zu funktionieren, kann man irgendwie
irgendwo irgendwann ruhig auf den Prozess (früher nannte man das
vielleicht Gott oder das Gute) vertrauen. Die Reise geht eben weiter.