METHODEN
PARTIZIPATIVER PLANUNG IM VERGLEICH
Matthias
zur Bonsen
veröffentlicht
in AGOGIK 4/97
Kaum
ein Berater stand nicht mindestens einmal vor dieser Aufgabe, viele
tun es regelmäßig: einer Gruppe von Menschen zu helfen, die
Zukunft ihres Unternehmens, ihrer Organsiation oder eines gemeinsamen
Themas zu planen und diese Zukunft dann in die Hand zu nehmen. Und zugleich
diese Gruppe mehr zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen zu lassen. Es
ist eine der Grundaufgaben von Beratern schlechthin. Viele von uns haben
dafür auch funktionierende Werkzeuge im Gepäck und leisten
erfolgreiche Arbeit. Dennoch fällt mir eines auf: Die Methoden
der partizipativen Planung, die am ausgiebigsten erforscht sind, die
die fundierteste theoretische und praktische Basis haben, an deren Entwicklung
viele Berater und zum Teil Wissenschaftler beteiligt waren und die am
besten dokumentiert sind, sind im deutschen Sprachraum kaum bekannt.
Es gibt also hervorragende Werkzeuge, sehr erprobt, sehr zugänglich
- und wir beachten sie kaum.
Daher möchte ich im folgenden vier Methoden partizipativer Planung
im Vergleich darstellen. Ich will aufzeigen, wie sie ablaufen, wenn
auch dies im Rahmen dieses Artikels nur straff und damit oberflächlich
möglich ist. Vor allem liegt mir daran, deutlich zu machen, worin
ihre jeweiligen Stärken bestehen und wofür sie am besten einsetzbar
sind. Die hier vorgestellten Methoden wurden nach folgenden Kriterien
ausgewählt:Jede Methode
-
ist
umfassend erprobt,
-
ist
- in einem Buch - gut dokumentiert und damit zugänglich,
-
eignet
sich gut für den Einsatz in Unternehmen und Organisationen
und
-
hat
eine theoretische Basis (wird nur von den ersten beiden Methoden
vollumfänglich erfüllt).
Die
vier Methoden heißen:
Search Conference, entwickelt von Fred und Merrelyn Emery in
Australien unter Mithilfe vieler anderer Berater.
Zukunftskonferenz (future search), entwickelt von Marvin Weisbord
in den USA aufbauend auf Vorarbeiten von den Emerys, von Ronald Lippitt
und Eva Schindler-Rainman.
Technology of Participation, entwickelt von den Beratern des
ICA (Institute of Cultural Affairs) in Chicago, dokumentiert von Laura
Spencer.
Klassische strategische Planung, von mir so bezeichnet das Bündel
von Werkzeugen, mit denen Berater beginnend in den 70er Jahren Unternehmen
halfen, eine Strategie zu entwickeln. Ich folge hier dem Prozess, den
Rudolf Mann vorgeschlagen hat, da er partizipativ angelegt ist, auf
viel Erfahrung beruht und von ihm sehr gut dokumentiert wurde.
Es gibt weitere Methoden, die große Verbreitung gefunden haben
und gut dokumentiert sind, die ich dennoch nicht in diesem Artikel berücksichtigen
werde. Darunter fällt z.B. die Zukunftswerkstatt von Robert
Jungk oder Collaborative Community Planning von Eva Schindler-Rainman
und Ronald Lippitt. Beide Methoden sind nicht für den Einsatz in
Unternehmen konzipiert worden und dafür auch nur bedingt geeignet.
Search Conference
Keine andere Planungsmethode weist eine so lange Historie auf wie
die Search Conference von den Emerys. Die Arbeit daran begann 1960,
zahlreiche Publikationen erschienen in den folgenden Jahrzehnten, das
jüngste Buch darüber wurde 1996 veröffentlicht. Und da
beide, Merrelyn und ihr kürzlich verstorbener Mann Fred Emery,
sowohl Praktiker wie Hochschullehrer waren und sind, war ihnen wichtig,
eine Methode zu schaffen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbaut.
Die Theorien von Solomon Asch und Wilfred Bion bilden ein wichtiges
Fundament.
Die Search Conference hat weite Verbreitung gefunden, zuerst in Australien,
später in der ganzen Welt. Sie wird in Unternehmen, Organisationen
und für issues (strategische Themen, an denen mehrere Institutionen
oder Gruppen beteiligt sind) eingesetzt. Eine Search Conference dauert
zwei Tage zuzüglich eines Vorabends. Sie ist am besten für
eine Gruppe von 20 bis 35 Personen geeignet, wird aber gelegentlich
auch mit nur 15 oder bis zu 50 Teilnehmern durchgeführt. Mit dieser
Gruppe wird überwiegend plenar und nur in einzelnen Phasen in Kleingruppen
gearbeitet.
Die Search Conference hat einen Standard-Ablauf, der variiert werden
kann. Immer beginnt man jedoch mit der Untersuchung des Umfelds und
setzt dann mit einer Analyse des Systems, um das es geht, fort.
Aufgabe
1: Veränderungen in der Welt
Aufgabe 2: Gewünschte und wahrscheinliche Zukünfte für
die Welt
Aufgabe 3: Veränderungen im relevanten Umfeld
Aufgabe 3.1: Was geschieht, wenn wir nichts tun
Aufgabe 4: Geschichte des Systems
Aufgabe 5: Behalten, Weglassen, Erschaffen
Aufgabe 6: Strategische Ziele entwickeln und verabschieden
Aufgabe 7: Hindernisse und Möglichkeiten ihrer Überwindung
Aufgabe 8: Maßnahmenplanung
Die
erste Aufgabe besteht in einem plenaren Brainstorming der Veränderungen,
die in den letzten sieben Jahren in der Welt stattgefunden haben.
Es wird einfach eine lange Liste erstellt. Es geht hier noch nicht
um das engere, "relevante Umfeld", vielmehr werden ganz
bewußt Wahrnehmungen über Veränderungen in der Welt
im allgemeinen ausgetauscht.
In der zweiten Aufgabe werden "gewünschte und wahrscheinliche
Zukünfte der Welt" einander gegenübergestellt. Kleingruppen
arbeiten parallel Szenarien für beides aus. Im Plenum werden
sie integriert. Typischerweise entsteht ein "helles" Bild
der gewünschten und ein "dunkles" Bild der wahrscheinlichen
Zukunft für die Welt. Den Planenden werden sowohl ihre Ideale
wie ihre Befürchtungen bewußt.
Auf das "relevante Umfeld" des Systems wird in der dritten
Aufgabe eingegangen. Auch hier wird im Plenum eine Liste der Veränderungen
bei z.B. Kunden, Händlern, Lieferanten etc. erstellt. Eine Zusatzaufgabe
kann danach darin bestehen, daß Kleingruppen erarbeiten, was
mit dem System geschehen würde, wenn man einfach so weitermachte
wie bisher. Die Ergebnisse werden üblicherweise aufzeigen, daß
es dann abwärts geht. Und damit ist auch der Sinn dieser Zusatzaufgabe
klar: Sie soll, wo dies erforderlich ist, das Gefühl der Dringlichkeit
verstärken.
Um Gefühl geht es auch in der vierten Aufgabe, in der der Blick
nun nach innen gerichtet wird. Alle Teilnehmer der Search Conference
sitzen in einem großen Kreis, um sich Geschichten aus ihrer
Vergangenheit zu erzählen. Der "Dienstälteste"
steht zuerst auf und erzählt kurz über ihm bedeutungsvolle
Ereignisse aus der frühen Vergangenheit der Firma oder Organisation.
Nach und nach kommen alle, die wollen, dran, am Ende die "Dienstjüngsten"
mit Geschichten aus der jüngeren Vergangenheit. Diese Erzählrunde
erzeugt vor allem das Gefühl, daß man zusammengehört
und daß man stolz sein kann auf das, was man zusammen erreicht
hat.
In der nächsten Aufgabe werden drei Flipcharts betitelt mit "Behalten",
"Weglassen" und "Erschaffen". In einem plenarem
Brainstorming wird unter diesen Überschriften gesammelt, was
in dem System, um das es geht, behalten werden soll, was aufgegeben
werden soll und was neu geschaffen werden soll.
Danach erarbeiten Kleingruppen je 5 bis 7 Schlüsselaussagen dazu,
wie ihr System in 5 bis 10 Jahren beschaffen sein soll. Diese Aussagen
werden im Plenum in ein Set langfristiger Schwerpunktziele integriert
und, wenn erforderlich, priorisiert.
Bevor zu diesen Zielen Maßnahmen geplant werden, kommt als Aufgabe
7 die Auflistung von Hindernissen, die den Zielen entgegenstehen,
und die Sammlung von Ideen, wie sie überwunden werden können.
Schließlich (Aufgabe 8) machen sich Kleingruppen daran, zu jeweils
einem Ziel einen umfassenden Maßnahmenplan zu erstellen. Die
Search Conference endet damit, daß das Plenum bespricht, wann
man wieder zusammenkommen will, um über die Umsetzung zu berichten
und weitere Schritte zu planen.
Zukunftskonferenz
Marvin Weisbord, der die Zukunftskonferenz (future search) entwickelt
hat, hat stark auf der Search Conference aufgebaut. Dennoch gibt es
bemerkenswerte Unterschiede. Zukunftskonferenzen sind mit 30 bis 72
Teilnehmern möglich, eignen sich also für größere
Gruppen. Unter diesen befinden sich oft auch Repräsentanten des
Umfeldes, also z.B. Kunden oder Händler oder strategische Partner.
Das ganze, offene System soll in einen Raum kommen. Dort, wo es um
ein issue geht, können es Vertreter verschiedener Organisationen
und Gruppen sein, die in der Zukunftskonferenz zusammenkommen. Im
Gegensatz zur Search Conference wird fast ausschließlich in
Kleingruppen gearbeitet, die Teilnehmer sitzen von vornherein an Tischen
mit sieben bis acht Personen. Die Rolle der Moderatoren ist dadurch
viel weniger herausgehoben. Sie treten in Aktion, wenn nach den Gruppenarbeiten
im Plenum präsentiert und reflektiert wird. Wie die Search Conference
dauert eine Zukunftskonferenz etwas über zwei Tage, die auf drei
Tage verteilt werden. Während jene eine Reise von außen
nach innen darstellt, ist diese eine Reise von der Vergangenheit in
die Zukunft:
Aufgabe
1: Vergangenheit
Aufgabe 2: Gegenwart: externe Trends
Aufgabe 3: Gegenwart: Stolz und Bedauern
Aufgabe 4: Zukunft
Aufgabe 5: Konsens
Aufgabe 6: Maßnahmen
In
der ersten Aufgabe wird die Vergangenheit des Systems, des Umfelds
und der Personen im Raum untersucht. Diese Aufgabe, die gewissermaßen
eine Verschmelzung der Aufgaben 1 und 4 der Search Conference darstellt,
soll vor allem helfen, eine "Planungsgemeinschaft" zu schaffen.
In der großen, oft heterogenen, manchmal konfliktären Teilnehmergruppe
entsteht so eine Basis, die es erleichtert, die nachfolgenden schwierigeren
Themen anzugehen.
Dazu zählen auch die externen Trends (sowohl des relevanten wie
des weiteren Umfelds), die in Aufgabe 2 zuerst in einem plenaren Brainstorming
als ein beeindruckendes Mindmap von ca. 1,5 m x 4 m Größe
entstehen. Nach einer Gewichtung der Trends mittels Klebepunkten,
wechselt die Sitzordnung von gemischten zu homogenen Tischen (z.B.
Tische mit nur Vertrieb, nur F&E ...), und diese erarbeiten, welche
Konsequenzen aus den zentralen Trends gezogen werden sollten.
Immer noch homogene Tische stellen dann in Aufgabe 3 dar, worauf sie
stolz sind und was sie bedauern - immer in Bezug auf ihren eigenen
Beitrag zum Erfolg des Ganzen. Die große Gruppe beginnt, sich
für gemeinsame Defizite verantwortlich zu fühlen.
Wieder gemischte Tische erhalten danach die Aufgabe, eine gewünschte
Zukunft zu entwerfen - hier jedoch nicht wie bei der Search Conference
in wenigen wohlformulierten Sätzen, sondern zuerst als Stichwortsammlung
und dann als anschauliche, lebendige und oft humorvolle Inszenierung.
Meist werden Sketche vorgespielt, an denen jeweils die ganzen Tische
mitwirken. Bei der Vorstellung im Plenum wird viel gelacht, die Zukunft
wird lebendig und Lust auf Zukunft wird richtig spürbar. Elektrizität
ist im Raum.
In Aufgabe 5 wird schrittweise der Konsens über die gewünschte
Zukunft und die Schwerpunktziele herausgeschält: zuerst an den
Tischen, dann jeweils zwei Tische zusammen, schließlich im Plenum.
Wenn alle im Raum hinter den gemeinsamen Zielen stehen, folgt die
Maßnahmenplanung (Aufgabe 6). Entweder sind es die homogenen
Tische, die Maßnahmen erarbeiten, oder es formieren sich unter
der Leitung freiwilliger Champions Freiwilligengruppen zu einem Schwerpunktziel
oder beides geschieht in zwei Planungsrunden nacheinander. Die Gruppen
stellen in jedem Fall am Ende ihre Maßnahmen im Plenum vor.
Technology of Participation
Das Institute of Cultural Affairs, das die Technology of Participation
(ToP) entwickelt hat, ist eine Non-Profit-Beratungsorganisation mit
Hauptsitz in Chicago und Niederlassungen in der ganzen Welt. ToP entstand
Anfang der Siebziger Jahre als Planungsinstrument für Gemeinden,
Stadtteile und ähnliches, hat aber später auch in Unternehmen
viel Anwendung gefunden. Die ideale Größe für einen
ToP-Planungsworkshop liegt bei 10 bis 30 Teilnehmern, die Dauer bei
2 bis 3 Tagen. ToP-Workshops sollen sich aber auch mit mehreren hundert
Teilnehmern durchführen lassen, nur verlängert sich ihre
Dauer dann auf 5 bis 7 Tage - ein k.o.-Faktor für Anwendungen
in der Wirtschaft. ToP arbeitet (in dieser Hinsicht der Metaplan-Methode
ähnlich) mit Kärtchen, die dann gesammelt und geordnet werden.
Diese Vorgehensweise, bei der vieles plenar geschieht und die Moderatoren
eine sehr aktive Rolle übernehmen, hat naturgemäß
Grenzen, wenn die Gruppe auf mehr als 30 Personen steigt.
Hatte die Zukunftskonferenz einen Verlauf von der Vergangenheit in
die Zukunft, so arbeitet sich ToP von der Zukunft rückwärts:
Aufgabe
1: Eine "praktische Vision" entwerfen
Aufgabe 2: Hindernisse und ihre tieferen Ursachen identifizieren
Aufgabe 3: Strategische Richtungen erarbeiten
Aufgabe 4: Maßnahmen planen
Aufgabe 5: Zeitplan der Umsetzung festlegen
Gleich
zu Beginn werden die Teilnehmer gebeten, sich vorzustellen, wie das
System, dessen Zukunft geplant wird, in 5 oder 10 Jahren beschaffen
ist, und dessen zukünftige Merkmale auf ein paar Kärtchen
zu schreiben. Diese werden gesammelt, sortiert und mit präzisen
"3-Wort-Überschriften" versehen. Konsens soll entstehen,
nicht zu allen Kärtchen, jedoch zu den Überschriften, die
ja gemeinsame Ziele darstellen.
Aufgabe 2 ist eine Besonderheit von ToP. Zuerst wird nach Hindernissen
gefragt, die der Verwirklichung der gemeinsamen Ziele entgegenstehen.
Diese werden wieder auf Kärtchen geschrieben, gesammelt und an
der Wand gruppiert. Die Kärtchen enthalten typischerweise eine
Sammlung überwiegend interner Mißstände. Doch es gibt
immer auch ein paar externe Hindernisse, etwa Verordnungen der Regierung
und ähnliches. Als nächstes wird im Plenum gefragt, welche
tiefere Ursache (root cause) hinter jedem "Klumpen" von
Hindernissen steht - vor allem in Bezug auf die internen Hindernisse.
Man will hier unter die Oberfläche gehen und untersuchen, was
die tiefsten Gründe für bisheriges und mögliches künftiges
Scheitern sind. Meist sind es nur eine oder zwei eng zusammenhängende
tiefere Ursachen, die wirklich wesentlich sind.
In der dritten Aufgabe werden "strategische Richtungen"
erarbeitet. Gemeint sind damit Aktivitäten oder Programme, die
in den nächsten drei Jahren verwirklicht werden sollen, um sowohl
die "praktische Vision" zu realisieren wie auch um die wesentlichen
tieferen Ursachen der Hindernisse zu überwinden. Wieder wird
auf Kärtchen gesammelt, gruppiert und mit Überschriften
versehen.
Die Maßnahmenplanung (Aufgabe 4) erfolgt bei ToP nicht in kleinen
Gruppen, die sich einem Schwerpunktziel widmen, sondern wieder plenar.
Kärtchen, sammeln, sortieren, Überschriften.... Die Überschriften
bezeichnen die Maßnahmen, auf die sich die Gruppe geeinigt hat.
Diese werden dann noch auf die 4 Quartale der nächsten 12 Monate
verteilt.
In Aufgabe 5 werden die Maßnahmen des ersten Quartals weiter
detailliert. An dieser Stelle entstehen auch bei ToP Freiwilligengruppen,
die sich um eine Maßnahme kümmern wollen. Die Gruppen präzisieren,
was in den Monaten 1, 2 und 3 geschehen soll. Dann präsentieren
sie vor einer großen (1,5 m x 3 m) Wand, die in drei Zonen für
die nächsten drei Monate eingeteilt ist, und hängen im Zuge
ihrer Präsentation die von ihnen geplanten Arbeitsschritte in
dem Monat auf, wo sie stattfinden sollen. Am Ende befinden sich ein
detaillierter Masterplan für die nächsten drei Monate und
ein grober für das nächste Jahr auf zwei großen Wänden
Klassische strategische Planung
Diese Methode gehört im Grunde in eine andere Kategorie wie die
bisher beschriebenen. Erstens wird sie oft gar nicht partizipativ,
sondern von Experten (Stäben, Beratern) durchgeführt. Der
hier beschriebene Prozess von Rudolf Mann ist allerdings partizipativ.
Zweitens ist es eine Methode, die fast nur aus rationalen Analyse-Werkzeugen
besteht, während insbesondere die Search Conference und die Zukunftskonferenz
auch auf die emotionale Wirkung (aufrütteln, mobilisieren, Ideale
bewußt machen, Gemeinschaftsgefühl entwickeln) hin ausgelegt
sind. Drittens ist sie fast nur für Unternehmen geeignet. Hier
wird sie aufgeführt, weil sich in Unternehmen durchaus in vielen
Situationen die interessante Frage stellen läßt, ob man
zur strategischen Planung besser die klassische strategische Planung
oder eine der anderen Methoden anwendet.
Die Werkzeuge der strategischen Planung stammen aus unterschiedlichen
Quellen. Das wohl älteste, das sogenannte SWOT-Chart (strengths,
weaknesses, opportunities, threats) ist bei General Electric entwickelt
worden. Portfolio-Matrizen kommen von Beratungsunternehmen. Viele
Einzelpersonen wie Kenichi Ohmae, Michael Porter, Gary Hamel, Cuno
Pümpin und andere haben konzeptionelle Beiträge geleistet.
Im Kontrast zu den oben beschriebenen Methoden braucht die klassische
strategische Planung mehr Zeit (3 und mehr Workshops) mit weniger
Menschen. Rudolf Mann sieht die Obergrenze sogar bei nur neun Teilnehmern.
Das sind meist nur die Geschäftsleitung (oder Leitung des Geschäftsbereichs)
und ausgewählte Führungskräfte der zweiten und dritten
Ebene. Der Prozess, der hier nur sehr gestrafft dargestellt werden
kann, beginnt mit einer umfassenden Basisanalyse:
A
Basisanalyse
Aufgabe 1: Strategische Bilanz
Aufgabe 2: Schlüsselfaktoren für Erfolg
Aufgabe 3: Stärken und Schwächen
Aufgabe 4: Chancen und Risiken
Aufgabe 5: Globale Ziele
Aufgabe 6: Konzentration / Diversifikation
Aufgabe 7: Portfolio-Analyse
B Optionen
C Strategie-Formulierung
Die
Erstellung der strategischen Bilanz ist ein Einstieg. Mit ihr wird
festgestellt, wo der zentrale strategische Engpass des Untenehmens
liegt, was also weiteres Wachstum am meisten begrenzt. Das kann und
wird oft die Absatzseite sein, doch es ist auch möglich, daß
der Engpaß bei der Beschaffung von Mitarbeitern, Kapital, Rohstoffen
oder Know-how liegt.
Als zweite Aufgabe werden die Schlüsselfaktoren für Erfolg
im Markt herausgearbeitet. Untersucht wird dabei auch, wie gut das
Unternehmen in diesen Faktoren im Vergleich zum besten Wettbewerber
abschneidet.
Stärken und Schwächen werden als dritte Aufgabe erarbeitet;
die Stärken werden ebenfalls mit dem besten Wettbewerber verglichen.
Gefragt wird nun, ob die stärksten Stärken auch den Schlüsselfaktoren
im Markt entsprechen. Wenn nein, dann wird deutlich, daß die
bisherige Strategie nicht stimmt.
Als vierte Aufgabe werden Chancen und Risiken, die sich aus externen
Entwicklungen ergeben, herausgearbeitet. Danach wird die Analyse gewissermaßen
ausgesetzt, um nach den grundlegenden globalen Zielen des Unternehmens
zu fragen: Unternehmenszweck, Vision, langfristige finanzielle Ziele
- die subjektiv gewünschte und gewollte langfristige Zukunft
des Unternehmens, zu der die zu planende Strategie führen soll.
Im Lichte dieser Vision werden im sechsten Schritt Möglichkeiten
sowohl zur Diversifikation wie auch zur Konzentration untersucht und
bewertet. In Aufgabe 7 werden die derzeitigen Produkte oder Produktlinien
in einem Portfolio bewertet. Nach Aufgabe 6 und 7 können bereits
weitreichende Entscheidungen fallen, wenn etwa die Refokussierung
auf einen Teil des bisherigen Angebots angesagt ist. Die Basisanalyse
wird am Ende zusammengefaßt, indem die zentralen strategischen
Probleme, auf die die neue Strategie eine Antwort geben muß,
herausgeschält werden.
Die Ausarbeitung von Optionen ist der kreative Teil der Planung: oft
sind neue Möglichkeiten für Wettbewerbsvorteile zu finden,
beispielsweise durch Neu-Segmentierung des Marktes, durch innovative
Lösungen für das brennendste Problem der Kunden oder das
Ausnutzen neuer Trends.
Sind die Optionen ausgearbeitet und bewertet, bleibt noch die Formulierung
der neuen Strategie und die Ausarbeitung der Maßnahmen. Typischerweise
entsteht ein Strategie-Dokument von 10 bis 20 Seiten Länge sowie
ein ebenfalls umfangreicher Masterplan mit einer Reihe von Projekten.
Was leisten die Methoden?
Stärken hat jede der hier beschriebenen Methoden. Die Search
Conference ist eine hervorragende und in jedem Schritt durchdachte
Methode, um mit einer bereits relativ großen Anzahl von Teilnehmern
(20 bis 35) die Zukunft eines Unternehmens oder einer Organisation
zu planen und diese Gruppe zusammenwachsen zu lassen. Die Kreativität
vieler kann genutzt werden. Andererseits ist die Gruppe noch klein
genug, um intensive plenare Diskussionen stattfinden zu lassen.
Der emotionale Höhepunkt der Search Conference ist das Erzählen
von Geschichten aus der Vergangenheit (Aufgabe 4). Diese rein mündliche
Aufgabe, in der einer nach dem anderen im Kreis vortritt und persönlich
bedeutungsvolle Erinnerungen vorstellt, wird oft als bewegend erlebt.
Die planende Gruppe wächst spürbar zusammen. Auch das Erarbeiten
gewünschter und wahrscheinlicher Zukünfte für die Welt
(Aufgabe 2) ist eine Besonderheit der Search Conference. Das Spannungsfeld
von Hoffnungen und Befürchtungen bringt die Teilnehmer ebenfalls
zusammen und motiviert sie, eine Zukunft zu planen, die auch zu den
gemeinsamen Idealen paßt.
Während alle hier vorgestellten Methoden sowohl ein Werkzeug
zur Planung wie auch zur Mobilisierung sind, ist doch bei der Zukunftskonferenz
die mobilisierende Wirkung nach meiner Erfahrung am stärksten.
Einerseits liegt das an der großen Zahl von Teilnehmern (bis
72), die in die Planung einbezogen werden. (Und man kann auch zwei
oder drei Zukunftskonferenzen parallel durchführen und so noch
mehr Menschen einbeziehen.) Andererseits wird die Kraft lebendiger,
anschaulicher Zukunftsbilder (Visionen) nirgends so genutzt wie in
Aufgabe 4 der Zukunftskonferenz, in der die Teilnehmer sich für
mehrere Stunden regelrecht in die fernere Zukunft hineinversetzen.
Die Erarbeitung und Präsentation der Zukunftsentwürfe ist
in dieser Methode der emotionale Höhepunkt.
Manchmal ist aber gerade dieser spielerische Aspekt nicht angebracht
und es ist besser, den Entwurf der Zukunft in einer nüchterneren
Form ablaufen zu lassen, z.B. so wie in der Search Conference. Meine
Faustregel dazu ist: Ist die Teilnehmergruppe groß und ist das
System, dessen Zukunft geplant wird, eine ganze Organsiation/Unternehmen
oder ein bedeutender Teil davon, dann bewährt sich das Vorgehen
der Zukunftskonferenz. Je kleiner die Teilnehmerzahl wird und je spezialisierter
das Thema (z.B. Produkt-Strategie), desto eher würde ich überlegen,
ob ein nüchternes Vorgehen nicht besser paßt.
Die Zukunftskonferenz eignet sich mehr als die anderen Methoden (in
denen das grundsätzlich auch geht), relevante externe Gruppen
in die Planung miteinzubeziehen. Man kann beispielsweise Kunden, Händler
und Lieferanten dazu einladen. In Aufgabe 2 und 3 sitzen diese jeweils
an eigenen Tischen und präsentieren ihre Perspektive zum jeweiligen
Thema. Diese Darstellungen erster Hand vermögen mehr unter die
Haut zu gehen, als Präsentationen oder schriftliches Material.
Auch in den Entwurf der Zukunft sind die Externen, verteilt auf gemischte
Tische, einbezogen. Mehr kann man seine "stakeholder" kaum
beteiligen.
In der Schlußphase der Maßnahmenplanung besteht die Stärke
der Zukunftskonferenz darin, daß sich aus dem großen Teilnehmerkreis
freiwillige "Champions" melden, die ein Thema zusammen mit
einer Freiwilligengruppe voranbringen wollen. Dies erhöht noch
einmal die Chance, daß im Anschluß an die Planung auch
wirklich etwas geschieht.
ToP springt gleich ohne Vorlauf in die Zukunft, denn schon zu Anfang
wird die "praktische Vision" entworfen. Die bei der Search
Conference und Zukunftskonferenz vorgeschaltete Bestandsaufnahme findet
bei ToP so nicht statt. Die Bestandsaufnahme erfüllt in den anderen
Methoden wichtige Zwecke; es werden nicht nur Informationen generiert,
es wird auch aufgerüttelt und ein Gefühl von Dringlichkeit
erzeugt. Doch es gibt Fälle, in denen das gar nicht so notwendig
ist, und dann ist ToP einfach schnell.
Das herausstechende Merkmal von ToP ist die Aufgabe 2, in der Hindernisse
und deren tiefere Ursachen untersucht werden. In hierarchischen Unternehmen
kann das manchmal heikel werden, denn die tieferen Ursachen könnten
ja beim Top-Management liegen. Sind die Führungsspitze und die
Mitarbeiter offen, können sie möglicherweise durch diesen
Schritt viel lernen. Wenn nicht-hierarchische Gemeinschaften planen
(man stelle sich eine Gruppe von Menschen vor, die eine ökologische
Siedlung bauen wollen), kann die Frage nach den tieferen Ursachen
von Hindernissen zu der Erkenntnis führen, daß die tiefste
Ursache in einem Mangel an Selbstvertrauen und Antrieb liegt. Und
vielleicht gibt ja gerade diese Erkenntnis den entscheidenden Kick.
In der Schlußphase von ToP, wo es um die Planung von Maßnahmen
geht, werden die Teilnehmer sehr stark an die Hand genommen. Während
in der Search Conference und Zukunftskonferenz den Freiwilligengruppen
die Details überlassen werden, geschieht hier vieles plenar.
Das kann Vorteil und Nachteil sein. Vorteil, wenn die Maßnahmen
zu den unterschiedlichen Schwerpunktzielen sehr stark aufeinander
abgestimmt sein müssen (z.B. wegen sehr knapper Ressourcen) und
die plenare Einordnung in ein Zeitraster wichtig ist. Nachteil, wenn
die Freiwilligengruppen gut unabhänig voneinander arbeiten könnten
und viel Zeit brauchen, um die Möglichkeiten der Umsetzung des
Ziels, das sie sich vorgenommen haben, zu diskutieren. Doch weiß
man das immer vorher?
Die klassische strategische Planung hat ihre Stärke dort, wo
es um ein grundlegendes Durchdenken der Positionierung eines Unternehmens
im Markt geht - wo also eine neue Antwort auf die Frage gefunden werden
muß, warum die Kunden gerade bei diesem Unternehmen kaufen sollen.
Die Schnittstelle Unternehmen-Markt wird hier sehr detailliert untersucht.
Die einzelnen Werkzeuge helfen, keinen Aspekt, der wichtig sein könnte,
auszulassen. Es entsteht nicht nur ein Set von Schwerpunktzielen,
das auf eine Seite paßt, sondern ein umfassendes Dokument, das
die Ausrichtung des Unternehmens beschreibt und die Konsequenzen für
die Funktionsbereiche aufzeigt.
Braucht es strategische Planung zur strategischen Planung?
Braucht es immer die klassische strategische Planung, ist mit dieser
Überschrift gemeint. Ich selbst habe in den Achtzigern viel mit
der klassischen strategischen Planung gearbeitet - nicht zuletzt,
weil ich die anderen Methoden damals noch gar nicht kannte. Mir fiel
dabei auf, daß der Aufwand - in der Regel vier bis fünf
Workshops - nicht selten hoch war im Verhältnis zum erreichten
Ergebnis. Denn oft war das Ergebnis gar nicht eine grundlegend neue
Strategie, sondern nur eine Anpassung oder klarere Ausrichtung hier
und da. Im nachhinein glaube ich, daß ich in einigen Fällen
das gleiche auch schneller mit einer der anderen Methoden hätte
erreichen können.
Wenn beispielsweise ein Strategieteam von 10 Personen in einer landwirtschaftlich
orientierten Sach-Versicherung unter anderem zu dem Ergebnis kommt,
das ein zentraler, weiter auszubauender Wettbewerbsvorteil in der
schnellen, einfachen und kompetenten Schadenerledigung besteht, dann
braucht es keine drei oder mehr Workshops und auch keine ausgefeilten
Analyse-Werkzeuge, um das herauszuarbeiten. Es wäre aber ein
großer Gewinn, wenn gleich mehrere Dutzend Mitarbeiter an der
Erarbeitung dieses Schwerpunktziels beteiligt wären und sich
für seine Umsetzung engagieren würden.
Doch es sei auch ein Fall dargestellt, der in die andere Richtung
weist. Ich habe vor einiger Zeit eine Zukunftskonferenz mit 64 Führingskräften
und Mitarbeitern eines Bürofachhändlers durchgeführt,
der insgesamt 150 Mitarbeiter hatte. Diesem Unternehmen ging es schlecht,
es war ein Sanierungsfall. Der neu eingesetzte Geschäftsführer
hatte Schwierigkeiten, die Mitarbeiter für dringend notwendige
Veränderungen zu gewinnen. Zu lange waren sie dem selben Trott
verhaftet gewesen. Die Zukunftskonferenz sollte hier helfen. Und das
tat sie. Die Teilnehmer waren hinterher sehr motiviert und haben sehr
viel umgesetzt. Dennoch hat die Zukunftskonferenz eines nicht geleistet
(was sie in diesem Fall auch nicht leisten sollte): die Teilnehmer
kamen nicht zu dem Schluß, daß ihr Bürofachhandel
in seiner heutigen Form gar nicht langfristig überlebensfähig
ist, sich stark refokussieren muß (auf Büromaterial) und
daß andere Sparten wie EDV und Büromöbel auszugliedern
oder gar abzustoßen sind.
Grundlegende strategische Neu-Orientierungen erfordern Mut und können
für die Betroffenen schmerzhaft sein. Viel Liebgewonnenes muß
losgelassen werden. Daher ist es eher eine kleine Gruppe - die Führungsspitze
- die sich dafür entscheidet. Wenn es also tatsächlich ansteht,
daß sich das Unternehmen im Markt neu aufstellt, dann ist die
klassische strategische Planung das richtige Instrument. Wenn die
Grundrichtung jedoch steht (und das ist meiner Beobachtung nach bei
der überwiegenden Zahl der Unternehmen der Fall), dann sind oft
Search Conference, Zukunftskonferenz oder ToP die geeigneteren Methoden
zur strategischen Planung. Denn in relativ kurzer Zeit lassen sich
mit ihnen nicht nur die strategischen Schwerpunktziele herausschälen,
sondern auch eine relativ große Gruppe von Mitarbeitern für
diese Ziele aktivieren.
In einer Zukunftskonferenz mit 72 Führungskräften und Mitarbeitern
eines Großunternehmens (5000 Mitarbeiter) wurden binnen zwei
Tagen die zentralen strategischen Ziele herausgearbeitet. Und noch
in der Konferenz formierten sich acht Gruppen, die an diesen Zielen
arbeiteten: Erschließung neuer Geschäftsfelder, Stärkung
der Innovationskraft, Reorganisation des Vertriebs, Vereinfachung
von Abläufen, Wissens-Management und anderes mehr. Microsoft
überlegte vor kurzem, wie die Geschäftsbereiche neue Produkt-Markt-Strategien
entwickeln sollten. Die Alternativen "Berater" und "Top-Management"
wurden in Erwägung gezogen und verworfen. Microsoft entschied
sich dafür, in jedem Geschäftsbereich eine Search Conference
mit etwa 40 Teilnehmern durchzuführen und danach eine integrierende
Search Conference für das ganze Unternehmen abzuhalten. Die Entscheidung
wurde im Nachhinein als richtig empfunden.
Es braucht also nicht immer das umfangreiche Methoden-Set der klassischen
strategischen Planung, um strategisch zu planen. Wo jedoch die Grundausrichtung
des Untenehmens neu definiert werden muß, wo schmerzahfte und
mutige Entscheidungen zu fällen sind, ist dieses nach wie vor
angebracht.
Ausblick
Zum Schluß soll nicht fehlen, daß auch die hier dargestellten
Methoden nicht das Ende der Entwicklung repräsentieren. Insbesondere
ist es möglich, Hybridformen aus den verschiedenen Methoden zu
bilden. Jede Methode hat ihre starken Seiten - und machmal macht es
Sinn, eine Aufgabe aus Methode A in Methode B einzubauen. Setzen Sie
sich - so mein Wunsch, wenn sie Berater sind - intensiver mit den
Methoden auseinander, machen sie Ihre eigenen Erfahrungen und helfen
Sie mit, die Werkzeuge weiterzuentwickeln, mit denen man Menschen
helfen kann, ihre eigene Zukunft in die Hand zu nehmen.
Literatur
Der Übersichtlichkeit halber nenne ich nur das jeweils zentrale
Werk zu jeder Methode:
Emery, Merrelyn und Purser, Ronald E., The Search Conference. A Powerful
Method for Planning Organizational Change and Community Action, Jossey-Bass
Publishers, San Francisco 1996
Mann, Rudolf, Praxis Strategisches Controlling, Verlag Moderne Industrie,
Landsberg 1989, 5. Auflage (Es gibt zwar eine Vielzahl weiterer Bücher
zur klassischen strategischen Planung, doch keines beschreibt wie
dieses den partizipativen Prozess.)
Spencer, Laura J., Winning Through Participation. Meeting the Challenge
of Corporate Change with the Technology of Participation. The Group
Facilitation Methods of the Institute of Cultural Affairs, Kendall/Hunt
Publishing Company, Dubuque, Iowa 1989
Weisbord, Marvin R. und Janoff, Sandra, Future Search. An Action Guide
to Finding Common Ground in Organizations & Communities, Berrett-Koehler
Publishers, San Francisco 1995
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